Ein Projekt im Rahmen von QUIVID, dem Kunst am Bau Programm der Stadt München
Technischer Entwurf und Fertigung von leuchten-modelle Pancho Schlehhuber
Die Klanginstallation mischt Geräusche und Klänge der Stadt mit historischen Momentaufnahmen aus 80 Jahren Stadtgeschichte. Gesammelt im „Untergrund“, verdichtet zu einem akustischen Kaleidoskop und abgespielt an 8 verschiedenen Orten:
- Gasteig
- Rotkreuzplatz
- Max-Joseph Platz
- Odeonplatz
- Theresienwiese
- Olympiastadion
- Hauptbahnhof
- Königsplatz
Ausführung
Ein Gully ist nicht unbedingt der Ort, an dem man eine Hi-Fi-Anlage aufstellt. Hier sind einige Randbedingungen zu beachten, die einen guten Klang erschweren: Schmutz, Wasser, Eis und dann wird auch noch alles vergraben. In einem Gully geht es auch recht Eng her, hier ist kein Platz für eine schicke Lautsprecherbox.
Um trotzdem einen sicheren Betrieb zu Gewährleisten mußten bei der Realisation folgende Randbedingungen berücksichtigt werden:
- Die Lautsprecher müssen wasserfest sein, d.h. nicht nur Spritzwasser-geschützt sondern Tauchfest.
- Die Lautsprecher befinden sich in einer explosionsgeschützten Zone.
- Der Abstand zwischen Verstärker und Lautsprechern beträgt bis zu 80 m.
- Strom kann teilweise nur Nachts, d.h. über die Lichtmasten der öffentlichen Straßenbeleuchtung, zur Verfügung gestellt werden. Für den Tagbetrieb muß die Energie also in Akkus gepuffert werden.
- Der Sound soll über mp3-Player abgespielt werden
Zum Zeitpunkt der Realisation waren mp3-player noch nicht so verbreitet, die einzigen Player, die zu diesem Zeitpunkt alle Kriterien erfüllten, waren mit einer 2,5″ Festplatte ausgestattet, die nur bis -20° spezifiziert sind. Die Abwärme der Verstärker wurde also zur Heizung der Player im Winter benutzt. - An zwei Orten, Königsplatz und Rotkreuzplatz, stand auch nur eine Stromversorgung aus einer Straßenleuchte zur Verfügung, Strom gibt es also nur Nachts, hier muss also die bei Dunkelheit zur Verfügung stehende Energie für den Tagbetrieb in einem Akku gespeichert werden.
- Am Königsplatz mußte zudem die gesamte Anlage in einen Lichtmasten eingebaut werden.
Brunner-Ritz – Aus dem Bauch
Informationen zum Kunstwerk von Brunner-Ritz
Hinabgespült in den Untergrund, in den _bauch der Stadt_ sammeln sich die Geräuschkulissen der Stadt und der daran angrenzenden Gebäude. von den Gullys geschluckt und vom Echo getragen verhallen die Schallwellen in den verzweigten Kanälen und vermischen sich unter der Stadt. Sie verschwimmen unsichtbar und ungehört zu einem Klangbild aus den unterschiedlichen Geräuschwelten von Hauptbahnhof/ Oper/ Königsplatz/ Theresienwiese/ Olympiastadion/ Rotkreuzplatz/ Gasteig.
Die Klänge und Geräusche, Momentaufnahmen und Geräuschfetzen wurden mit einem Aufnahmegerät gesammelt/ -gesampelt-, durch Filter geschickt, geklärt und verdichtet, eustrukturiert und über die Kanäle des Mischpults wieder verteilt.
_Über_tragen an die anderen Orte, quellen die Neukomponierten Klangwelten wieder heraus _aus dem Bauch der Stadt_ und bilden eine _Kommunikation der Orte_.
_Hochgespült_ wie Erinnerungsmomente ist das Hörspiel um Aufnahmen historischer Ereignisse der Stadt erweitert und lässt so ein akustisches Kaleidoskop Münchens der vergangenen siebzig Jahre entstehen.
Passanten, wartende, interessierte Zuhörer leihen ihr Ohr, hören auf den Bauch und erleben das Echo der Stadt. Das Stadtentwässerungsnetz wird zum Übertragungskanal von Klängen. mit dem Hineinhören in den Untergrund wird die Taubheit für die unterirdische Welt an einigen exponierten Stellen der Stadt durchbrochen und ihre Unsichtbarkeit hörbar.
Presse-Echo, Süddeutsche Zeitung Nr. 217, SZ Extra 20.-26.9.2001, S.4, Oliver Herwig:
„Nachdenkliche Stimmen aus dem Untergrund“
Klänge, Geräusche und Reden aus Straßengullys kommentieren Münchner Geschichte(n)
Ein Loop dauert fast eine halbe Stunde. Dann beginnt alles wieder von vorne: Stimmen, Geräusche und Musik, die aus verschiedenen Gullys tönen. Unterschwellig, verstörend, gerade so laut, daß sich Passanten umdrehen und verwundert nach der Klangquelle suchen. An sieben Abspielorten – Max-Joseph-Platz, Theresienwiese, Hauptbahnhof, Königsplatz, Rotkreuzplatz, Gasteig und Olympiastadion – hat das Münchner Künstlerduo Brunner/Ritz ein „untergründiges Hörspiel für München“ zusammengestellt.
Die Aufnahmen sind genau auf die Geschichte(n) der Orte abgestimmt. Neben eigenen Interviews mit Reisenden am Hauptbahnhof, Ausstellungsbesuchern in Lehnbachhaus und Glyptothek und Nutzern der Stadtbibliothek sind die Künstler im Schallarchiv des Bayerischen Rundfunks sowie des Rundfunkarchivs fündig geworden. Zu hören gibt es unter anderem Aufnahmen von der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten 1938 am Königsplatz, eine Rede Adolf Hitlers, Sportreportagen von den Olympischen Spielen 1972 und der Fußballweltmeisterschaft 1974, Aufnahmen vom Oktoberfest 1930 und Augenzeugenberichte vom Bombenattentat 1980 sowie Interviews mit den Komponisten Strauss, Orff, Hindemith und dem Philharmonikerchef Sergiu Celibidache. Die Komposition ist jeweils unterlegt mit Klangkulissen aus dem Münchner Untergrund, aus seinem weit verzweigten Kanalsystem, die im Studio bearbeitet wurden und schließlich über Lautsprechen verstärkt in den Gullys wiedergegeben werden.
“Aus dem Bauch“ bildet – zusammen mit Andreas von Weizäckers Arbeit „Oberwasser-Kanalmuseum“- einen Teil der Kunstprojekte rund um den neuen Nord-West-Sammelkanal, die das Baureferat der Stadt München in Auftrag gegeben hat. Johannes Brunner und Raimund Ritz spielen mit dem Überraschungseffekt. Ihre Klangcollage mag im Straßenlärm teils untergehen, teils nur langsam einsickern ins Bewusstsein der Passanten. Dafür verspricht ihre Auseinandersetzung mit München umso hartnäckiger zu wirken.
Brunner/Ritz: „Aus dem Bauch. Ein untergründiges Hörspiel für München, Klanginstallationen aus Straßengullys: Stimmen, Gesang und Geräusche: Max-Joseph-Platz, Theresienwiese, Hauptbahnhof, Königsplatz, Rotkreuzplatz, Gasteig, Olympiastadion, von Donnerstag, 20. September 2001 an auf unbestimmte Zeit.“
Abendzeitung München vom 25.9.2001, S.12, Gabi Vögele
Gully-Hitler empört Bürger
Kunstprojekt des Baureferates: Nazi-Parolen im Abwasser-Kanal
Passanten, die über den Rotkreuzplatz in Neuhausen huschen, halten seit ein paar Tagen immer wieder irritiert inne. Irgendwo sind plötzlich undeutlich unselige Parolen zu hören: Nazi-Propaganda.
Jugendliche, Mütter mit Kinderwagen und ältere Spaziergänger am Stock blicken sich fragend um auf der Suche nach der Quelle der beklemmenden Töne, blicken in die umliegenden Fenster und bespähen die anderen Passanten – bis ihr Blick auf die Gullys im Kopfsteinpflaster fällt. Sie sind der Ursprung des unheimlichen Spektakels. Aus ihnen dringt die beklemmend vertraute Stimme Adolf Hitlers aus dem Untergrund nach oben. Und laute Sieg-Heil-Rufe. Dazwischen ist Musik zu hören.
Ungläubig, kopfschüttelnd und erregt diskutierend, versammeln sich immer wieder kleine Grüppchen von Passanten um die Gullydeckel und starren gebannt in das Dunkel der Kanalistion. Viele beschleicht ein ungutes Gefühl. Wer steckt hinter dieser uneheimlichen Aktion? Gibt es geheime Neonazi-Treffen in den Abwasserkanälen unter der Stadt? Albert Abele, ein Anwohner des Rotkreuzplatzes zur AZ: „Das kann man doch nicht einfach so auf sich beruhen lassen.“
Die Lösung des Rätsels ist für ihn ein Affront: Es ist die Stadt selbst, die das ganze Spektakel inszeniert hat – als Kunstprojekt. Die Klanginstallation mit dem Titel „Aus dem Bauch“ des Künstlerduos Brunner/Ritz, die an insgesamt sieben Plätzen in München aus den Gullys tönt, setze sich mit der Geschichte der Stadt auseinander, erklärt Claudia Weber, die bei der Stadt für die Kunst am Bau zuständig ist. Durch die überraschende Form der Präsentation solle sie Denkanstöße geben. „Die Hitler-Rede“ ist auch nur ein kleiner Teil der Installation“, betont sie. Daneben seien auch Tonaufnahmen zu anderen wichtigen Etappen der Münchner Geschichte zu hören. Dass immer wieder Leute die Polizei rufen angesichts der Nazi-Parolen wertet sie als Erfolg der Aktion: „Das zeigt doch, dass die Münchner wachsam sind.“ Albert Abele sieht das anders. „Wie müssen solche Parolen etwa auf die russischen Juden wirken, die ganz in der Nähe des Rotzkreuzplatzes untergebracht sind?“ fragt er sich: „Da ist doch gleich wieder das Bild von der Hauptstadt der Bewegung da.“
Die Welt vom 19.9.2001, S.38, Sabina Moser
„Aus dem Gulli tönen die Carmina Burana“
Zwei Künstler sammeln Geräusche aus der Münchner Geschichte und installieren sie im Untergrund
Süddeutsche Zeitung vom 5.11.2001, Oliver Herwig
Stadtsymphonie – Münchens Vergangenheit aus dem Gully